Die Sehnsucht nach der Entscheidung kehrt zurück – als politische Versuchung einer ungeduldigen Gegenwart. Trump verkörpert einen Stil, der Verfahren abkürzt, Institutionen marginalisiert und den Ausnahmezustand zur alltäglichen Geste erhebt.
Carl Schmitt hat die Chiffre geliefert, die heute unheimlich aktuell wirkt: «Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.» Das Dezisionistische – die Vorrangstellung der Entscheidung vor der Norm – misstraut Verfahren, Vermittlungen, Institutionen. Es behauptet, dass politische Ordnung nicht aus Regeln entsteht, sondern aus dem Akt des Setzens, aus dem Willen einer Instanz, die «im Ernstfall» entscheidet. Das ist nicht bloss historische Theorie; es ist ein Stil politischer Gegenwart.
Donald Trump hat diesen Stil früh in eine demokratische Massengesellschaft übersetzt. Als er 2016 die Nominierung der Republikaner annahm, formulierte er den Kern dezisionistischen Selbstverständnisses: «Nobody knows the system better than me, which is why I alone can fix it.» Die Botschaft ist mehr als Hybris; sie suspendiert deliberative Politik zugunsten eines autorisierten Willens. Entscheidung ersetzt Verhandlung, performierte Stärke ersetzt die mühselige Grammatik des Kompromisses.
Diese Selbstermächtigung kehrte später als Pose der Ausnahme wieder. Auf die Frage, ob er Macht missbrauchen würde, antwortete Trump 2023 halb ironisch, halb programmatisch, er wäre «nur am Tag eins» Diktator – um sofort Öl- und Grenzpolitik als Objekte unmittelbarer Anordnung zu inszenieren. Die Pointe liegt nicht darin, ob das «ernst gemeint» ist, sondern darin, wie die Aussage den Ausnahmezustand als politisches Spektakel normalisiert. Die Ausnahme wird veralltäglicht; das ist dezisionistische Pädagogik in Prime Time.
Wenn Pose zu Struktur wird
Doch das Entscheidende geschieht dort, wo Stil in Struktur umschlägt. Mit Trump v. United States bescheinigte der Supreme Court im Juli 2024 ehemaligen Präsidenten Immunität für «Kernbefugnisse» und zumindest eine Vermutung von Immunität für offizielle Handlungen. Juristisch differenziert – politisch folgenreich: Die Entscheidung verschiebt den Horizont dessen, was Exekutivmacht im Ausnahmefall beanspruchen kann. Sie verrechtlicht die Ausnahme, indem sie ihren Träger stärkt. Dezisionismus wird hier nicht nur behauptet, er wird institutionell rückversichert.
Parallel dazu zielt die Reorganisation des Verwaltungsstaates darauf, Expertise und Verfahren dem Primat der Entscheidung unterzuordnen. Mit der Executive Order vom 20. Januar 2025 reaktivierte die Administration die Logik von «Schedule F» – nun «Schedule Policy/Career». Sie schafft den Hebel, policy-nahe Karrierepositionen aus dem klassischen Schutz der Meritokratie zu lösen und stärker präsidialer Weisungsgewalt zu unterstellen. Im Namen der «Accountability» wird Loyalität zur Tugend, Dissens zur Disziplinarsache. Das ist dezisionistische Verwaltungspolitik: Sie will die Friktionen tilgen, die demokratische Verfahren absichtlich produzieren.
In all dem geht es um mehr als um eine Person. Trump ist weniger Ursache als Kondensationskern eines breiteren Trends: der Ungeduld mit Institutionen, der Sehnsucht nach eindeutigen Befehlslagen, der Faszination für die Energie des «Jetzt». Das dezisionistische Versprechen lautet: schneller, wirksamer, sichtbarer. Aber sein Preis ist hoch. Erstens verwischt es die Grenze zwischen Konflikt und Notstand. Was in pluralistischen Gesellschaften als legitimer Streit um Ressourcen und Werte ausgetragen wird, erscheint im dezisionistischen Blick als existenzieller Ausnahmefall, den «nur» ein Souverän lösen kann. Zweitens verengt es Politik auf Exekution. Wer entscheidet, hat recht – bis das Gegenteil entschieden wird. Wahrheit wird temporär und taktisch.
Die paradoxe Funktion der Langsamkeit
Gerade in komplexen Demokratien haben Verfahren eine paradoxe Funktion: Sie verlangsamen, um zu stabilisieren. Sie schaffen Zeitfenster für Einspruch, für Revision, für die Aufnahme unerwarteter Folgen. Dezisionismus hält diese Langsamkeit für Schwäche. Er verwechselt die produktive Trägheit von Institutionen mit Ineffizienz – und unterschätzt, wie sehr diese «Reibung» Macht bändigt. «Checks and balances» sind nicht die Gegner der Entscheidung, sondern deren Bedingung in einer Ordnung, die keine letzte Instanz kennt.
Hinzu kommt ein mediales Moment. Die Entscheidung ist das perfekte Format der Gegenwart: ein Clip, ein Knopfdruck, eine Signatur. Sie ist sichtbar, messbar, zirkulationsfähig. Verfahren dagegen sind schwer zu erzählen. Ihre Qualität liegt im Unspektakulären, in Protokollen, Fristen, Fussnoten. Dezisionismus liebt die Bühne; er dramatisiert den Akt und tilgt die Arbeit davor und danach. Ergebnis: Politik wird performativ; die Geste verdrängt die Governance.
Wer das kritisiert, gerät schnell in den Verdacht der Romantisierung von Bürokratie. Aber es geht nicht um Bürokratie als Fetisch, sondern um die politische Ökologie von Gegengewichten. Eine enthemmte Exekutive – abgesichert durch juristische Immunitätsdoktrinen, flankiert von administrativen Loyalitätsinstrumenten, gehegt von einem Publikum, das Effizienz über Pluralität stellt – verschiebt das Koordinatensystem liberaler Demokratie. Sie macht die Ausnahme zum Normalfall und die Entscheidung zum Ersatz für Urteil.
Die Entscheidung domestizieren
Schmitts Diagnose bleibt darum zweischneidig. Er hat – analytisch brillant, politisch fatal – den blinden Fleck normativer Ordnungen freigelegt: dass auch sie in einer Entscheidung gründen. Gerade deshalb muss eine demokratische Antwort darin bestehen, die Entscheidung zu domestizieren, nicht zu sakralisieren. Der Souverän ist nicht «wer» entscheidet, sondern wie entschieden wird: unter Offenlegung der Gründe, unter Vorbehalt der Revision, unter Anerkennung von Minderheitenrechten. Nicht das Faktum der Entscheidung stiftet Legitimität, sondern ihre Einbettung in Verfahren, die auch dem Unbequemen eine Stimme geben.
Die Aufgabe ist nüchtern: Wider die Verführung einer Politik der «kurzen Wege» verteidigt sich Demokratie nicht mit Pathos, sondern mit Praxis. Sie braucht Institutionen, die Nein sagen können; Medien, die die Geste nicht mit der Sache verwechseln; eine Verwaltung, die nicht loyal gegenüber Personen, sondern gegenüber Verfahren ist; eine Öffentlichkeit, die weiss, dass Zeitverlust nicht immer Wirkverlust ist. Dezisionistisches Denken kehrt wieder – als Pose, als Politik, als Paragraph. Die Antwort darauf ist keine Gegen-Pose, sondern die geduldige Arbeit an einer Kultur der Entscheidung, die sich selbst begrenzt.
(Bild: fema.gov)