Heino Jaeger: Dem falschen Sprechen auf der Spur

Grabstein aus grauem Granit mit der eingravierten Inschrift „HEINO JAEGER * 1.1.1938 † 7.7.1997“, umgeben von grünem Laub und fallengelassenem Laub auf dem Boden.

Heino Jaeger brachte die Sprache zum Kippen. Er zeigte, wie Vernunft ins Absurde driftet, wenn man sie nur lange genug reden lässt. Seine Hörstücke sind akustische Zerfallsprotokolle des bürgerlichen Diskurses – komisch, unheimlich, brillant chaotisch.

Es gibt Komiker, die Witze erzählen – und es gibt Heino Jaeger. Bei ihm lacht man selten über etwas, sondern immer an etwas: an der Sprache selbst, an ihren Schlieren, Brüchen, Wiederholungen. Seine Monologe, Radiostücke und Hörmontagen sind Laborberichte aus dem Inneren des Sprechens. Man könnte sagen: Jaeger redete nicht, um zu unterhalten, sondern um zu sehen, was Sprache mit uns macht, wenn man sie sich selbst überlässt.

Wer Jaeger hört, betritt ein akustisches Experimentierfeld. Sätze beginnen korrekt und geraten ins Straucheln; Wörter wiederholen sich, Bedeutungen verrutschen. Die Stimme bleibt freundlich, fast belehrend – wie die eines Radiomoderators aus einer pädagogisch erleuchteten Republik. Je länger sie spricht, desto deutlicher wird, dass hier etwas nicht stimmt. Das scheinbar Vernünftige kippt ins Absurde, das Informative ins Manische, das Bürgerliche ins Groteske.

Jaeger war ein Zersprecher. Kein Kabarettist, kein Satiriker im üblichen Sinn, sondern ein Pathologe der Rede. Er zeigte, dass man Sprache nicht einfach benutzen kann, ohne zugleich von ihr benutzt zu werden. Seine Figuren reden, weil sie reden müssen; sie drehen sich im Kreis ihrer eigenen Phrasen, wie Tiere, die ihren Käfig für die Welt halten.

Die Sprache als Krankheit

Es gibt bei Jaeger keine klaren Pointen, keine «Botschaft». Stattdessen das ständige Sich-Verheddern, Sich-Korrigieren, Sich-selbst-Überholen. Seine Protagonisten sind Infizierte – Träger einer Krankheit namens Sprechen. Manchmal wirken sie wie Volkserzieher, die aus Verlegenheit weiterdozieren, manchmal wie Schallplatten, die in der Rille hängen geblieben sind. Der Effekt ist zugleich komisch und unheimlich – als höre man den bürgerlichen Diskurs bei seiner eigenen Selbstauflösung.

Man könnte Jaegers Werk als akustische Ideologiekritik lesen. Wo Adorno noch über den «Jargon der Eigentlichkeit» schrieb, führt Jaeger ihn auf – live, improvisiert, in Echtzeit. Seine Sprachgestalten sind gefangen im System der Redewendungen, in jenen Sprechblasen des guten Gewissens, die den bundesrepublikanischen Alltag der 1970er Jahre strukturierten. Es sind Menschen, die meinen, sie sprächen – dabei sprechen längst die Phrasen durch sie.

Humor als Desinfektion

Dass man darüber lacht, ist kein Zeichen von Heiterkeit, sondern von Erleichterung. Humor ist bei Jaeger nicht Zierde, sondern Reinigungsakt. Er entzieht der Sprache ihren Ernst, um sie auf ihre Strukturen hin durchsichtig zu machen. Wer zu viel Heino Jaeger höre, könne nichts mehr ernst nehmen, sagte Joska Pintschovius über seinen Freund – und das ist wohl das grösste Kompliment, das man ihm machen kann. Denn nichts mehr ernst nehmen heisst hier: die ideologische Schwere des Alltags abstreifen und die Sprache wieder als Material zu begreifen.

Jaegers Sprechen ist das Gegenteil von Rhetorik. Wo der Redner versucht zu überzeugen, versucht Jaeger zu verwirren. Er führt den Hörer an die Grenzen des Verstehens – dorthin, wo Kommunikation nicht mehr glättet, sondern sich selbst entblösst. Und vielleicht liegt darin der eigentliche Witz: dass ausgerechnet derjenige, der «falsch spricht», uns das Sprechen wieder hören lehrt.

Zwischen Karl Kraus und Loriot

Wenn Karl Kraus die Sprache vor ihren Sprechern retten wollte, dann wollte Heino Jaeger sie ihnen zurückgeben – in all ihrer Peinlichkeit, Lächerlichkeit und Schönheit. Er steht damit in einer Linie, die von Kraus’ Fackel über Ernst Jandls Laut- und Sprachpoesie bis zu Loriot reicht, ohne sich je in einem dieser Namen ganz auflösen zu lassen.

Während Loriot die bürgerliche Ordnung durch überpräzise Beobachtung karikierte, nahm Jaeger sie akustisch auseinander: Satz für Satz, bis nur noch Klang, Atem, Unsinn blieb. Das Absurde, das bei Loriot in der Pointe sitzt, steckt bei Jaeger im Duktus.

Man kann seine Texte kaum lesen – man muss sie hören. Sie sind eine Musikform, eine strukturelle Improvisation, irgendwo zwischen Jazz und Dada. Vielleicht war Jaeger deshalb Maler, bevor er Sprecher wurde: Seine Sprache malt Geräusche, nicht Begriffe.

Nachhall

Dass Jaeger heute fast vergessen ist, gehört zur Ironie seiner Kunst. Seine Stimme war zu speziell fürs Fernsehen, zu anarchisch fürs Radio, zu sperrig für das Kabarett. Doch wer sich einmal auf ihn einlässt, erkennt in seinem Sprechen ein frühes Echo jener Medienreflexivität, die man später «postmodern» nennen wird: Sprache als Oberfläche, als Loop, als sich selbst kommentierende Simulation. Vielleicht ist dieses Stolpern, Lallen, Brechen gar kein Defekt, sondern eine Form von Wahrheit – eine Wahrheit, die sich weigert, glatt zu klingen.

Heino Jaeger hat uns gelehrt, dass man nicht besser spricht, indem man «richtig» spricht, sondern indem man dem Sprechen zuhört, während es sich selbst zerlegt. Sein Werk ist eine Erinnerung daran, dass Sprache immer auch Missverständnis ist – und dass gerade im Missverständnis die Möglichkeit zur Erkenntnis liegt.

(Bild: Udo Grimberg )